Das Erste - Sendung Plusminus
Arbeitnehmer erhalten jährlich eine
Renteninformation der Gesetzlichen Rentenversicherung. Darin steht vor
allem, mit welcher Rente sie beim Eintritt in den Ruhestand rechnen
können. Diese Werte aber sind häufig viel zu optimistisch.
Diana Gehring arbeitet
als Erzieherin in einer Stuttgarter Kita. Mit 2.700 € brutto verdient
die 32-jährige ein Durchschnittseinkommen. Trotz ihrer Zwillinge
arbeitet die Alleinerziehende seit zehn Jahren Vollzeit - auch weil sie
möglichst viel in die Rentenkasse einzahlen will.
Einmal im Jahr bekommt
sie Post von der Gesetzlichen Rentenversicherung: Die Renteninformation.
Dort steht - mit einem Kästchen hervorgehoben - der Betrag, den sie zu
erwarten hat, wenn sie weiterarbeitet wie bisher: 1.333 €. Diana Gehring
findet, dass es mehr sein könnte, aber es ist für sie zumindest einmal
ein Anfang. Sie glaubt, dass ihr die gesetzliche Rente demnach rund 75
Prozent ihres Netto-Gehaltes bringt.
Schockierende Rechenergebnisse
Der
renommierte Versicherungsexperte Peter Schramm hat für die ARD viele
Rentenberechnungen analysiert. Wir bitten ihn, sich die
Renteninformation von Diana Gehring genauer anzusehen. Bleibt es
wirklich bei 1.333 €?
Das Ergebnis ist ein
Schock. Diana Gehring droht im Alter ein drastischer Absturz. Im Moment
hat sie 1.700 € netto. Im Alter soll es 1.333 € Rente geben - brutto.
Davon bleiben aber real nur 950 € übrig - damit läge sie 750 € unter
ihrem jetzigen Nettolohn.
Peter Schramm, unabhängiger Versicherungsmathematiker:
"Wenn man so ein
mittleres Einkommen hat, dann landet man ungefähr auf dem
Grundsicherungsniveau, ja das ist eine durchaus realistische Aussicht."
Gigantische Rentenlücke trotz guten Einkommens
Auch bei älteren Beschäftigen sieht es nicht viel
besser aus. Hubert Bauer ist Facharbeiter bei Festo in Esslingen,
Weltmarktführer für Automatisierungstechnik. Er hat noch 15 Jahre bis
zur Rente. Seit seinem 17. Lebensjahr war er immer berufstätig - aktuell
als Industriemechaniker bei dem schwäbischen High-Tech-Unternehmen. Von
dort bringt er gutes Geld nach Hause. Im Moment bleiben ihm rund 2.500 €
netto. Und laut Renteninformation kann er sich auf eine ordentliche
Rente freuen. Nach der Renteninformation rechnet er mit immerhin
1.374,84 €. Über die Rentenanpassung könnte das angeblich noch
beträchtlich höher ausfallen, bei 1 Prozent jährlicher Steigerung schon
über 1.500 €, bei 2 Prozent 1.770 €. Hubert Bauer denkt also, dass er
mit der gesetzlichen Rente auf rund 60 Prozent seines Nettolohnes kommt.
Doch selbst das ist viel zu optimistisch. Auch er wird deutlich weniger
gesetzliche Rente bekommen.
Heute verdient er 2.500 € netto. Die in Aussicht gestellten 1.375 € gesetzliche Rente werden aber netto nur 990 € wert sein.
Werden Normalverdiener zu armen Rentnern?
Was in der Renteninfo noch nach viel aussieht, ist bei Renteneintritt deutlich weniger wert. Drei Faktoren schlagen zu Buche:
- Durch die zunehmende Besteuerung reduziert sich die Rente um bis zu 15 Prozent.
- Dazu kommen Kranken- und Pflegeversicherungsbeiträge - schon jetzt mehr als 10 Prozent.
- Schließlich bedeutet die gesetzlich beschlossene Absenkung des Rentenniveaus nochmals ein Minus von 12 bis18 Prozent.
Professor Stefan Sell
vom Institut für Sozialpolitik in Koblenz befürchtet, dass all diese
Faktoren zusammen dazu führen, dass auch Normalverdiener auf das
Hartz-IV-Niveau gedrückt werden.
Irreführende Bruttobeträge
Die
offizielle Renteninformation ist offenbar irreführend. Im Kästchen
steht eine Bruttosumme, nimmt man sie für bare Münze, ist man beruhigt.
Zumal sogar noch hochgerechnet wird, was herauskommt, wenn die Rente
regelmäßig steigt: bis zu 2.660 €. Doch Vorsicht:
Professor Stefan Sell, Institut für Sozialpolitik, Koblenz:
"Eine ganz
gefährliche Rentenillusion - die Rentenillusion liegt darin, dass den
Leuten heute quasi per Amt vom Staat wird ihnen ein Betrag in € genannt,
den sie zu erwarten haben. Ein Betrag, den doch jeder von uns auf
alles, was man sich heute kaufen kann, umrechnet."
Planmäßiger Wertverlust
In Zukunft aber werden die Renten laut Gesetz
grundsätzlich weniger stark steigen als die Löhne und so planmäßig an
Wert verlieren. Auf der Rückseite der Renteninformation warnt die
Rentenversicherung vor dem Kaufkraftverlust und erklärt, dass der Betrag
auf der Vorderseite real deutlich weniger wert sein wird als heute.
Dass davon außerdem noch Steuern und Sozialabgaben weggehen, wird zwar
gesagt. Aber es wird nicht vorgerechnet, wie hoch die Abzüge sind.
Dazu fehlten ihr die notwendigen Daten, und allgemeine Beispiele seien irreführend, sagt die Rentenversicherung. Und weiter: "Die
Renteninformation liefert ein realistisches Bild der zu erwartenden
Rente (..), soweit dies aus heutiger Sicht möglich ist."
Professor Stefan Sell dagegen meint, man habe gute Gründe, den Leuten nicht die bittere Renten-Wahrheit zu sagen:
"Wenn das den
Leuten transparent gemacht werden würde, dann würde natürlich der
gesamte Legitimationsunterbau der Rentenversicherung in sich
zusammenbrechen, weil die Leute würden zurecht eine ganz simple Frage
stellen, nämlich, warum soll ich in so ein System einzahlen, teilweise
erhebliche Beiträge von meinem Einkommen, wenn ich eh nur eine Leistung
bekomme, die der Grundsicherung entspricht."
Rund 324.000 € wird
Hubert Bauer nach 50 Arbeitsjahren in die Rentenkasse eingezahlt haben.
Am Ende wird er trotzdem nicht viel mehr haben als jemand, der im Alter
auf Sozialhilfe angewiesen ist und nie einen Cent eingezahlt hat.
Die Deutsche
Rentenversicherung hat aktuell noch einmal auf den PLUSMINUS-Bericht
reagiert. Sie argumentiert: "Eine individuelle Berechnung der
Nettorente" sei ihr ohne persönliche Daten der Versicherten nicht
möglich. Sie komme bei einem Rentenbetrag von 1.300 €, der auf der
Renteninformation in Aussicht gestellt wird, auf eine spätere
Netto-Monatsrente von ca. 1.100 €. Dabei berücksichtigt sie jedoch nur
Steuer- und Sozialversicherungs-Abzüge, nicht aber das abgesenkte
Rentenniveau. Durch die verlangsamte Anpassung der künftigen Renten an
die Lohnentwicklung gehen aber je nach Dauer bis zum Renteneintritt noch
einmal weitere 100 bis 150 € bei der Nettorente des
Durchschnittsverdieners verloren.