Ein Fall aus der Praxis
Im Januar 2011 stellte sich ein 59-jähriger Mandant bei uns vor. Die Krankenversicherung verweigerte ihm die Krankengeldzahlung, obwohl seiner Auffassung nach ein Anspruch bestand und er durchgehend nicht arbeitsfähig gewesen sei.
Der Mandant war zuletzt seit April 2005 als Kraftfahrer versicherungspflichtig beschäftigt. Am 2.11.2010 erkrankte unser Mandant an der Wirbelsäule und wurde notfallärztlich behandelt. Eine Arbeitsunfähigkeit wurde zugleich bescheiningt. Die Lohnfortzahlung endete bereits zum 30.11.2010, da das Arbeitsverhältnis aufgrund einer Insolvenz des Arbeitgebers aufgelöst wurde.
Die Krankenkasse unseres Mandanten nahm bereitwillig die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen entgegen und sicherte die Krankengeldzahlung im KundenCenter in Stuttgart Bad Cannstatt mündlich zu.
Mit Bescheid vom 21.12.2010 informierte die Krankenkasse unseren Mandanten schriftlich, dass er ab 12.12.2010 nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert sei und daher ab 11.12.2010 kein Krankengeld mehr gezahlt werde. Unser Mandant hat bis zu diesem Zeitpunkt keinerlei Zahlung von der Krankenkasse, auch nicht für den Zeitraum vom 1.12.2010 bis 10.12.2010, erhalten. Unser Mandat hätte es versäumt die fortlaufende Arbeitsunfähigkeit lückenlos ärztlich bescheinigen zu lassen. Durch die um einen Tag entstandene Lücke sei das Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld geendet. An dessen Stelle sei unser Mandant nunmehr familienversichert, ohne Anspruch auf Krankengeld, gewesen.
Irritierenderweise erhielt unser Mandant am 21.12.2010 auch ein zweites Schreiben von seiner Krankenkasse, indem er für die Festsetzung des "Krankengeld für Ihre finanzielle Sicherheit" aufgefordert wurde, die Gehaltsabrechnungen für die Monate August bis Oktober 2010 einzureichen.
Gegen diesen ablehnenden Bescheid vom 21.12.2010 wurde frisgerecht Widerspruch erhoben. Es wurde geltend gemacht, dass er bereits am 10.12.2010 in der Arztpraxis gewesen sei. Die Praxis sei überfüllt gewesen und der Arzt habe ihn daher gebeten zur Samstagssprechstunde am 11.12.2010 nochmals zu erscheinen. Dieser Vortrag wurde vom Arzt bestätigt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 21.02.2011 wies die Krankenkasse den Widerspruch zurück. Die über den Bezug von Krankengeld aufrechterhaltene Mitgliedschaft unseres Mandanten habe am 10.12.2010 geendet. Aufgrund der ärztliche Feststellung am 11.12.2010 könne frühstens am 12.12.2010 ein Anspruch auf Krankengeld entstehen, zu diesem Zeitpunkt sei unser Mandant jedoch nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen.
Hiergegen wurde vor dem Sozialgericht Stuttgart am 2.03.2011 Klage erhoben.Es wurde erneut geltend gemacht, dass es sich um eine durchgehende und nicht erstmalig bescheinigte Arbeitsunfähigkeit handele. Der behandelnde Arzt wurde vom Sozialgericht als sachverständiger Zeuge vernommen. Es wurde bezeugt, dass unser Mandant am 10.12.2010 bis 12:30 Uhr zur Sprechstunde vorstellig wurde. Da sehr viel los gewesen sei, habe der Arzt vorgeschlagen, am 11. oder 13.12.2010 wieder zu kommen. Seines Erachtens sei das Verfahren der Arbeitsunfähigkeitsverlängerung durchgehend.
Mit Urteil vom 27.02.2014, also etwa drei Jahre nach Klageerhebung, hat das Sozialgericht Stuttgart die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, ein Krankenversicherungsschutz mit Anspruch auf Krankengeld habe nur bis 10.12.2010 bestanden. Mit Ablauf dieses Tages sei die Mitgliedschaft als versicherungspflichtiger Beschäftigter erloschen. Die Mitgliedschaft bleibe nach § 192 Absatz 1 Nr. 2 SGB V nur solange erhalten, wie ein Anspruch auf Krankengeld bestehe oder Krankengeld bezogen werde. Nach § 46 Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V entstehe der Anspruch auf Krankengeld am Tag nach der ärztlichen Festellung der Arbeitsunfähigkeit. Die Erlangung der ärztlichen Feststellung der Arbeitsunfähigkeit gehöre zu den Obliegenheiten der Versicherten. Die Folgen einer unterbliebenen oder nicht rechtzeitigen Feststellung seien daher von den Versicherten zu tragen.
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei bis 10.12.2010 befristet gewesen. Danach sei Arbeitsunfähigkeit erst am 11.12.2010 festgestellt worden, so dass der Anspruch erst am 12.12.2010 habe entstehen können. Wegen der entstandenen Anspruchslücke sei unser Mandant nicht mehr mit Anspruch auf Krankengeld versichert gewesen. Ein Ausnahmesachverhalt, in dem die ärztliche Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ausnahmsweise nachgeholt werden könne, liege nicht vor. Derartige Ausnahmen seien in engen Grenzen anerkannt worden, wenn die ärztliche Feststellung oder die Meldung der Arbeisunfähigkeit durch Umstände verhindert oder verzögert worden seien, die dem Verantwortungsbereich der Krankenkassen zuzurechnen seien. Eine solche Konstellation liege hier nicht vor. Dem Mandanten sei möglich und zumutbar gewesen, sich rechtzeitig zur Feststellung bei einem weiteren Arzt vorzustellen. Ihm sei auch zumutbar gewesen, in der Praxis am 10.12.2010 zu warten und den Vorschlag des Arztes mit Verweis auf die notwendige Feststellung seiner Arbeitsunfähigkeit abzulehnen. Eine der Beklagten zuzurechnende Pflichtverletzung des Vertragsarztes liege nicht vor, da er nicht verpflichtet sei auf die dargestellte Rechtslage hinzuweisen.
Gegen dieses Urteil des Sozialgerichtes Stuttgart wurde vor dem Landessozialgericht Baden-Württemberg am 12.03.2014 Berufung erhoben.
Unserer Auffassung nach sei eine Obliegenheitsverletzung unseres Mandanten nicht nachvollziehbar. Aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes und mehrstündiger Wartezeit sei unser Mandant nicht mehr in der Lage gewesen in der Praxis zu verharren. Im Wechsel zwischen Stehen, Gehen und kurzzeitigem Sitzen habe der Kläger, unser Mandant, zeitweise in entwürdigender Art auf dem Boden der Arztpraxis gelegen. Erst im Anschluss hieran und nach wiederholter Anfrage sei der Vorschlag unterbreitet worden, am Folgetag erneut zu erscheinen. Ein weiteres Warten wie auch das Aufsuchen einer anderen Arztpraxis sei nach mehrstündiger physischer und psychischer Belastung nicht mehr zumutbar gewesen.
Nach dem in der Klageinstanz zumindest die Zahlung von 1.12.2010 bis 10.12.2010 umgesetzt werden konnte (ink. Verzugszinsen), wurde beantragt, dass das Urteil des Sozialgerichtes Stuttgart in der Gestalt des Ablehnungsbescheides und des Widerspruchsbescheides aufgehoben wird, und das die Krankenkasse dazu verklagt wird unserem Mandanten für die Zeit ab 11.12.2010 Krankengeld zu gewähren. Die Krankenkasse beantragte selbstredend die Berufung zurückzuweisen.
Die Berufung unseres Mandanten hatte Erfolg
Nach rechtlicher Würdigung vertritt das Landessozialgericht die Auffassung, dass bei dieser besonderen Konstellation unser Mandant am letzten Tag der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit seinen Arzt aufsucht, mit diesem spricht und eine Fortsetzung des Termins mit Feststellung der Arbeitsunfähigkeit direkt am Folgetag stattfindet. Gemäß unserer schriftlichen Begründung, der mündlichen Verhandlung und der sachverständigen Zeugenaussage konnte das Gericht hiervon überzeugt werden. Demnach liegt eine rechtzeitige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit vor.
Die Obliegenheit unseres Mandanten, zur Aufrechterhaltung seines Krankengeldanspruchs seine Arbeitsunfähigkeit vor Ablauf jedes Krankengeldbewilligungsabschnittes erneut ärztlich feststellen zu lassen, hat er damit erfüllt. In diesem Ausnahmefall ist mit der am 10.11.2010 begonnenen und am 11.11.2010 fortgeführten Konsultation keine Lücke eingetreten, so dass auch über den 10.11.2010 hinaus der Anspruch auf Krankengeld bestand.
Das kalendertägliche Krankengeld unseres Mandanten betrug 76,71 €.
Unser Mandant hat nunmehr die Schwerbehinderteneigenschaft durch unser Mitwirken erhalten, und wird nach Beendigung seines Arbeitslosengeldanspruches eine entsprechende Altersrente beantragen.
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