"Es wird keine Serie von Nullrunden geben"
In den nächsten Jahren können die Rentner wohl nicht mit großen Zuwächsen ihrer Alterseinkommen rechnen. Denn die Politik muss aufgeschobene Minderungen nachholen.
Herr Rische, dieses Jahr gibt es für die Älteren nur eine Nullrunde. Ist das wie von 2004 bis 2006 der Auftakt für eine längere Phase mit stagnierenden Renten?
Das kann niemand vorhersagen. Die Rentenanpassung hängt immer davon ab, wie sich die Löhne entwickeln. Hier gibt es unterschiedliche Signale. In manchen Branchen, in denen den Tarifpartnern der Sicherheit des Arbeitsplatzes Vorrang einräumen, sind Gehaltssteigerungen gering ausgefallen. Es gibt aber auch andere Branchen mit spürbaren Tarifzuwächsen. Wir müssen abwarten, welche Lohnsteigerungen sich ergeben. Natürlich muss berücksichtigt werden, dass bei künftigen Rentenanpassungen Kürzungen nachgeholt werden müssen, die in der Vergangenheit unterblieben sind. Das wirkt sich auf die Höhe der Rentenanpassung aus. Das Nachholen von Kürzungen kann dazu führen, dass die rechnerische Rentenanpassung nur zur Hälfte weitergegeben wird. Sicherlich sind keine großen Rentensteigerungen in Sicht. Erhöhungen müssen aber künftig auch nicht ganz ausfallen. Gleich mit einer Serie von Nullrunden zu rechnen, halte ich für übertrieben.
Vor zehn Jahren wurde breit darüber diskutiert, ob die Rentenerhöhungen noch die Teuerungsrate ausgleichen. Wäre es nicht schwierig, wenn die Anpassungen so gering ausfallen würden, dass Ruheständler keinen Inflationsausgleich bekommen?
Wenn wir auf die letzten 50 Jahre in der Rentenversicherung zurückblicken, kann man feststellen, dass die Orientierung an der Lohnentwicklung für die Rentner eindeutig günstiger war. Hätte sich die Rentensteigerung nach der Teuerungsrate gerichtet, wäre die Rente um ein Fünftel niedriger als heute. Bei dieser Diskussion ist häufig Rosinenpickerei mit im Spiel. Wenn gerade die Löhne deutlich wachsen, sollen sich die Renten danach richten. Steigt die Teuerungsrate, werden Rufe nach Änderungen laut. Wir dürfen nicht die Beitragszahler vergessen. Wer höhere Anpassungen verlangt, muss sagen, wie sie bezahlt werden.
In diesem Jahr greift die Rentengarantie, die Kürzungen bei schwacher Wirtschaftsentwicklung ausschließt. Trägt dies zur Stabilität bei?
Die Rentengarantie greift im Westen, nicht aber in den östlichen Bundesländern. Das liegt nicht daran, dass im Osten der Wohlstand ausgebrochen ist. Vielmehr wird in den alten Ländern weitaus häufiger auf Kurzarbeit zurückgegriffen, was statistisch quasi zu geringeren Lohnsteigerungen führt. Aus Sicht der Rentner sorgt die Garantie für Vertrauensschutz. Ältere Menschen können sicher sein, dass die Rente selbst in schwierigen Zeiten nicht kleiner wird. Man kann sicherlich darüber streiten, ob dies auf Dauer der richtige Weg ist. Wir müssen aber eines bedenken: Die Rentner können an ihrem Einkommen kaum noch etwas ändern, die Berufstätigen sehr wohl. Insofern wäre eine Minusrunde für Ruheständler problematisch.
Wie hoch ist die Bugwelle nicht erfolgter Rentenminderungen, die sich auch durch die Rentengarantie aufgetürmt hat?
Im Westen werden wir in den nächsten Jahren 3,8 Prozent einsparen müssen, im Osten sind es 1,8 Prozent. Dies wird in den nächsten Jahren zu reduzierten Rentenanpassungen führen. Wie lange das dauert, hängt von der Lohnentwicklung ab.
In der Vergangenheit bewegten sich die Rentenerhöhungen - abgesehen vom Wahljahr 2009 - zwischen 0,5 und einem Prozent. Liegt da nicht die Vermutung nahe, dass es ein Jahrzehnt dauert, um den Ausgleich wiederherzustellen?
Wir rechnen nach den bisherigen Prognosen damit, dass wir den Ausgleichsbedarf bis 2015 wieder eingefahren haben.
Die Bundestagswahl 2013 haben Sie in der Rechnung mit berücksichtigt?
Das ist eine populistische Sichtweise. Letztlich muss die Politik nach Adam Riese vorgehen: Falls die Politik meint, sie müsste vor der Wahl freundlicher zu Rentnern oder Beitragszahlern sein, wird sie das nach der Wahl einholen.
Fällt ihr Urteil nicht sehr milde aus, wenn man berücksichtigt, dass in den vergangenen Jahren mehrfach in die Rentenformel eingegriffen worden ist?
Die Rentenversicherung ist eine langfristige Veranstaltung. Da kann ich mich nicht allein auf ein oder zwei Jahre beschränken. Dass die Politik manche Dinge ändert, hat es immer gegeben. So führte etwa die Regierung Kohl den Demografiefaktor ein, der von der Regierung Schröder sogleich abgeschafft wurde. Zwei Jahre später wurde der Nachhaltigkeitsfaktor mit ähnlicher Wirkung eingeführt. Die Erfahrung in der Rentenpolitik lehrt, dass die Politik von der Realität schnell eingeholt wird.
Die Rentenversicherung ist gut durch die Krise gekommen. Ende 2009 hatte sie hohe Rücklagen. Wie ist die Situation aktuell?
Die Rentenversicherung steht gut da und ist stabil. Die Krise blieb bisher ohne dramatische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt. Die Finanzkrise war weniger ein Thema der gesetzlichen Rentenversicherung, sondern beschäftigt vor allem die private und betriebliche Altersversorgung. Insgesamt ist das deutsche System sicherlich besser durch die Krise gekommen. Für uns ist entscheidend, wie sich der Arbeitsmarkt entwickelt. Die Folgen halten sich bis jetzt in Grenzen. Die Bundesagentur zahlt für Arbeitslosengeld-I-Bezieher Beiträge, die sich ungefähr bei 80 Prozent des vorigen Lohns bemessen. Für Kurzarbeiter erhält die Rentenversicherung Beiträge für einen Basiswert von mehr als 80 Prozent des vorigen Lohns. Mit den flankierenden Maßnahmen am Arbeitsmarkt konnte auch die Rentenversicherung stabil gehalten werden. Das Problem könnte größer werden, falls die Zahl der Langzeitarbeitslosen steigt. Für diese Gruppe erhält die Rentenversicherung nur geringfügige Beiträge.
Geht die Krise ganz spurlos an der Rentenversicherung vorbei?
Das System geht sogar gestärkt aus der tiefen Rezession hervor. In den letzten Jahren wurde uns vorgeworfen, das Umlagesystem sei ein Auslaufmodell aus dem vorigen Jahrhundert. Es zeigt sich, dass sich die gesetzliche Rentenversicherung als höchst widerstandsfähig gegen Turbulenzen auf den Finanzmärkten erweist. Die Rentenversicherung ist ein stabiler Anker. In den ersten zwei Monaten gab es sogar ein leichtes Plus bei den Beitragseinnahmen. Für das gesamte Jahr bin ich optimistisch.
Im Gesetz über die Rente mit 67 steht, dass in diesem Jahr überprüft werden soll, ob beispielsweise die Lage auf dem Arbeitsmarkt einen späteren Renteneintritt zulässt. Sollte die Rente mit 67 in Anbetracht der Krise verschoben werden?
Die Krise führt zum Glück nicht dazu, dass die Lebenserwartung sinkt. Die Gründe, die für die Rente mit 67 sprechen, gelten nach wie vor. Ich will auch in Erinnerung rufen, dass das Renteneintrittsalter schrittweise heraufgesetzt wird. Erst 2029 sollen Arbeitnehmer bis zum 67. Lebensjahr arbeiten. Wir sollten die langfristigen demografischen Trends sehen und nicht mal links rum, mal rechts rum agieren. Eines muss beachtet werden: Wir haben heute schon Knappheit auf dem Arbeitsmarkt - das gilt für Facharbeiter und einzelne Berufsgruppen. Dies führt dazu, dass Menschen auch länger arbeiten wollen. Das alles spricht dafür, trotz der Krise bei der Rente mit 67 zu bleiben.
Die Politik preist den Zulauf zur Riester-Vorsorge als Erfolg. Dennoch besitzt nach wie vor die Hälfte aller Arbeitnehmer keine private Zusatzvorsorge.
Dass diese Vorsorge so stark angenommen wird, ist ein Erfolg. Für eine abschließende Bilanz ist es zu früh. Was mich umtreibt, ist ein anderer Punkt. Die Riester-Vorsorge ist auch deshalb eingeführt worden, weil die Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung langfristig sinken. Wenig im Fokus der Öffentlichkeit steht, dass die Senkung des Rentenniveaus nicht nur die Bezieher einer Altersrente trifft. Auswirkungen zeigen sich auch bei den Erwerbsminderungsrenten. Auch hier wird das Leistungsniveau abnehmen. Ich meine, die privaten Anbieter sollten auch dafür ergänzende Produkte anbieten. Ich denke etwa an eine Riester-Invaliditätsrente. Was den Schutz gegen Invalidität angeht, sind mittlerweile große Lücken entstanden. 90 Prozent aller Riester-Verträge bieten nur eine Aufstockung im Rentenalter und schützen nicht bei Invalidität. Hier muss sich die Politik etwas einfallen lassen.
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